Clubsandwich

Clubsandwich

6. Juli 2020

Das Clubsandwich wurde, so erzählt man es, im 18. Jahrhundert für einen spielsüchtigen, englischen Aristokraten erfunden. Der vierte Earl of Sandwich ließ sich Braten zwischen Brot packen, damit er die Stullen am Spieltisch ohne Besteck verspeisen konnte. Das ist zugegebenermaßen gemäß unserer Vorstellung von den Tischsitten alten Landadels, etwas gegen den Strich gebürstet. Mein Clubsandwich bürste ich ebenfalls gegen den Strich, allerdings im besten Sinn. Der Earl hätte nicht umhingekonnt, das kulinarische Niveau als mindestens angemessen einzustufen!

Seit Wochen wüten an den Samstagen von morgens bis abends Schlagbohrer, Flex und Hammer in schönstem Einvernehmen miteinander im Nachbarhaus. Wand an Wand, um es genauer zu beschreiben, denn wir leben nordseits angebaut. „Doppelhaushälfte“, das Wort bekommt plötzlich Bedeutung mit völlig neuer Relevanz. Mal erhebt sich das rumpelnde und dröhnende Geschehen in zufällig sich ergebender Dramaturgie, mal als fulminantes Crescendo mit ungezügelten Schlussakkorden in Forte. Es wird „kernsaniert“, und diesen Begriff nehmen unsere künftigen Nachbarn sehr grundsätzlich und ernst.

Dual Vibes

Weil man unter der Woche arbeitet, in unserem kleinen Bundesland jedoch das Heimwerkertum traditionsgemäß gepflegt wird, findet man sich am Samstagmorgen ein, mit viel Ehrgeiz und Energie und legt gemeinsam los. Von morgens bis abends verstehen wir seither in unserem schönen Haus oft das eigene Wort nicht mehr. Es ist laut und vibriert, wenn in den Eingeweiden herumgebohrt wird, und wir haben das Gefühl, längst dürften schon überhaupt keine Mauern mehr übrig geblieben sein. Das Schlimmste dabei ist, dass man das Geschehen nicht wirklich einordnen kann, denn man weiß und sieht ja nicht, was vor sich geht. Wie lange dauert eine Stille-Insel, wann geht das Getöse weiter, wie lange hält es an. Bald vibriert nicht nur das Mauerwerk, sondern auch die Nerven. Das Nichteinschätzbare macht einen beinahe wahnsinnig, selbst wenn man vor Selbstdisziplin strotzt und kein Weichei ist.

Bohrmaschine

Miteinander Wand an Wand

Irgendwann ist man komplett auf die Geräusche fixiert und jegliche Ablenkung ist zum Scheitern verdammt. Es musste verhindert werden, dass wir aus Gründen des seelischen und psychischen Selbstschutzes Abwehrmechanismen aufbauen würden, die das nachbarschaftliche Verhältnis trüben könnten. Denn die „Neuen“ sind auf die ersten Blicke sehr angenehme Zeitgenossen, und der Neustart nebenan ist uns willkommen und versehen mit dem Wunsch auf eine gemeinsame gute Zukunft. In einem Doppelhaus lebt man Wand an Wand, wenn jedoch jeder ein wenig Rücksicht nimmt, gibt es gute Chancen auf ein friedliches Miteinander. Also fragten wir höflich an, wie der weitere Verlauf der Sanierung sich gestalten würde und beschlossen, an den folgenden Samstagen das Weite zu suchen. Uns sozusagen freiwillig ins erlösende Exil zu begeben.

Im Exil

Wir quartierten uns in einem sehr hübschen und stillen Hotel im Nachbarort ein. Das Hotel war wegen „Corona“ geschlossen und verwaist, man gewährte uns jedoch unter der Begründung „Home-Office“ Asyl. Wir bekamen zwei putzige, gegenüberliegende Doppelzimmer am Ende eines Flures mit Blick über den Ort und die angrenzenden Wälder. Jeder saß mit dem Laptop am kleinen Schreibtisch, den wir uns so zurechtschoben, dass wir einen schönen Blick nach draußen hatten. Wir reisten mit Wasserkocher, Teebeuteln, Bentōbox für den Mittagsimbiss und einer Thermoskanne für den Nachmittagskaffee an. Daneben führte ich in meinem Verpflegungskorb Pralinen und Salzstangen für den „kleinen Hunger zwischendurch“ mit. Außerdem die Tageszeitung und unsere eBook-Reader, falls das Home-Office einer Ablenkung bedurfte. Nach dem gemeinsamen Mittagessen – der Liebste hatte die Bentō-Boxen aufs Feinste und mit viel Fantasie befüllt – gönnte er selbst sich ein Nickerchen. Ich schnallte mir die Laufschuhe an die Füße und lief eine Runde am Fuße des „Großen Stiefel“ durch den Wald.

Vor dem Neustart

Es waren schöne Samstage im Exil und wir fühlten uns wohl in den beiden Zimmern. Am letzten Samstag waren wir ein wenig traurig, denn dieser Tag gestaltete sich besonders schön. Der „Lockdown“ war endlich gelockert, und in wenigen Tagen durfte das Restaurant, bald danach das Hotel wieder öffnen. Eine quirlige Geschäftigkeit verbunden mit Heiterkeit, Geplauder und viel Lachen waberte durch Lobby, Restaurant und den Garten. Alles wurde blitzblank geputzt, die Sofakissen an der frischen Luft ausgeklopft, die Lüster gewienert, die Buchsbäume in Form und Blumenampeln in Stellung gebracht. Am Ende des Tages war selbst der rote Läufer vorm Eingang blitzblank gesaugt, und der Springbrunnen im Innenhof plätscherte erwartungsfroh. Mehr Aufbruchstimmung hätten wir nicht geboten bekommen können, dabei hatte man sich beim Eintreffen am Morgen dafür entschuldigt, dass es wohl lebhaft werden könnte, und bot uns Zimmer am entgegengesetzten Ende an. Wir lehnten spontan ab, denn nach all der Lockdown-Stille, war quirliges Leben herzlich willkommen und stellte sich unterdessen als äußerst heilsam heraus!

Mehrstöckiger Genuss

Weil es in jedem Hotel, sofern es Gäste bewirten darf, ein Clubsandwich gibt, gab es an diesem Samstagabend ein „Home Made Clubsandwich“ nach meiner Fasson. Nicht mit blassem Weißbrot, sondern mit kräftigem Sauerteigbrot. Ohne Hummer, Räucherlachs und Kaviar, wie zum Beispiel im Hotel „Vierjahreszeiten“ in München, dafür mit hausgemachtem Tofu, Avocadocreme und Miso-Mayonnaise. Ich servierte das Gebilde auch nicht auf goldenen Tellern und würde im Leben keine sagenhaften 111 Euro dafür kalkulieren, aber schmecken würde es den illustren Gästen, die in München das „teuerste Sandwich der Stadt“ ordern, sicherlich auch. Wir hatten an diesem Samstag ein großes Stück Lebensfreude geschenkt bekommen und uns ein Stück weit aus dem Krisen-Kater befreit. Wenn auch gemessenen Schrittes, das Leben nimmt Fahrt auf. Daher denke ich an diesem Tag, mein Sandwich ist nicht das teuerste der Stadt, aber mit Abstand das vielversprechendste der Welt!

Der Tofu

  1. Sojabohnen einweichen.
  2. Mit Gemüse und Knoblauch entsaften.
  3. Aufkochen, Gerinnungsmittel hinzufügen, stocken lassen.
  4. Einige Stunden lang in der Presse entwässern.

Das Sandwich

  1. Mayonnaise und Avocadocreme herstellen.
  2. Rote Bete hobeln und marinieren.
  3. Brotscheiben nach und nach belegen.
  4. Spiegelei braten und als Topping auf das Sandwich setzen.
Das Club-Sand­wich ist „com­plete­ly re­loaded“. Kräf­tig-charak­ter­volles Brot, saftig-wür­zi­ger Tofu, ge­schmei­di­ge Knob­lauch­ma­yon­naise, sanf­te Avo­ca­do­crème und sü­ße Kirsch­to­ma­ten ver­ste­hen sich blen­dend. Der Räu­cher­käse kor­res­pon­diert, ein Spie­gel­ei schenkt Ge­schmei­dig­keit.

Der Tofu

Sojabohnen über Nacht einweichen. Mit 2 Liter Wasser, der Karotte, Rote Bete und Knoblauch durch den Entsafter laufen lassen. Bohnenmilch langsam aufkochen. Nigari in etwas heißem Wasser auflösen, wenn die Sojamilch gerade eben aufkocht, von der Herdplatte ziehen und Nigari hinzufügen. 15 Minuten stocken lassen. Tofumasse in eine Tofupresse füllen und leicht entwässern. Gewürzmischung hinzufügen und sorgfältig in der Masse vermengen. Tofu mehrere Stunden auspressen.

Tipp: Wer keinen Entsafter besitzt, kann den Tofu mit dem Mixer herstellen. Hier ein Grundrezept, ein erweitertes Rezept mit Aromaten und einer Tofu-Marinade.

Das Sandwich

Mayonnaise von bester Qualität (oder selbst gemacht) mit einer zerdrückten Knoblauchzehe, einem guten Teelöffel Misopaste und etwas Zitronenabrieb verrühren. Avocado mit Sauerrahm, Limettensaft und Chilisalz in einem hohen Gefäß cremig aufmixen. Rote Bete in sehr feine Scheiben hobeln und auf einer Platte nebeneinander auslegen. Essig, Öl, Senf, Meerrettich, Chilisalz und Pfeffer zu einem Dressing verrühren. Bete-Scheiben damit bepinseln, wenden, Rückseite bepinseln, mit Klarsichtfolie abdecken und mindestens eine Stunde marinieren lassen.

Für das doppelte Club-Sandwich benötigt man 6 Scheiben Sauerteigbrot aus der Kastenform. Wer das Brot selbst backen möchte, findet hier ein unschlagbares Rezept. Jeweils eine Brotscheibe mit Mayonnaise bestreichen, mit Salatblättchen belegen, Tofu-Streifen aufsetzen. Rote Bete Scheiben verteilen, mit Avocadocreme bestreichen, eine Scheibe Räucherkäse auflegen. Ein zweites Mal ebenso verfahren. Nach Belieben dazwischen Tomatenscheiben verteilen. Währenddessen die Spiegeleier braten und als Topping aufsetzen.

(Für 2 Portionen)

Der Tofu

Menge Zutat

250 g

getrocknete Sojabohnen

8 g

Nigari (Gerinnungsmittel)

1

Karotte

½

Rote Bete

1

Knoblauchzehe

0,5 g

Rauchpaprika

0,5 g

Paprika rosenscharf

2 g

Salz

Das Sandwich

Menge Zutat

1

geräucherter Tofu-Quader

6 Scheiben

Sauerteigbrot

4 EL

beste Mayonnaise

1

Knoblauchzehe

1

Bio-Limette

1 gehäufter TL

helle Misopaste

4 EL

Avocado

2 EL

Sauerrahm

Etwas

Limettensaft (siehe oben)

Eine gute Prise

Chilisalz

Eine Hand voll

Kirschtomaten (in Scheiben geschnitten)

2 Scheiben

Räucherkäse (etwas dicker geschnitten)

Einige

Salatblätter (z. B. Blutampfer)

1

Rote Bete

1 EL

Sherryessig (ersatzweise Apfelessig)

2 EL

Rapsöl (ersatzweise Sonnenblumenöl)

1 TL

Dijonsenf

1 TL

Meerrettich (frisch gerieben oder aus dem Glas)

2

Eier

1 TL

Butter

Eine gute Prise

Chilisalz

 

Pfeffer

 

Diese Seite wurde zuletzt am 06.07.2020 um 16:30 Uhr aktualisiert.

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