Tartelette mit Rhabarber und Austernpilz
3. Juli 2021
Rhabarber. Ich staunte stets über die Pflanzen, die ohne irgendwelchen – zumindest von mir wahrgenommenen Aufwand – zu sprießen begannen und dann in Rekordzeit stattliche Stiele mit riesigem Blattwerk hervorbrachten, unter denen ich ohne Probleme mit meinem Klapp-Stühlchen Platz nehmen konnte, wie unter einem üppigen Sonnenschirm. Ob es der „Goliath“ war, das weiß ich nicht, solche Fragen stellte man sich damals eher nicht. War das Blätterdach im Sommer abgeerntet, wanderten die Sonnenschirmchen auf den Kompost und gaben dann eben an dieser Stelle ihr Bestes.
Kleine Welt, noch kleinere Gefahren
Ich liebte als Kind Wichtelgeschichten, wo uns kleinen Menschen die Natur Schutz bot, oder dicke Käfer in tuffigen Bettchen im Bauch von Fliegenpilzen Behausung und Schutz fanden. Einen von unten her natürlicherweise hohl und verzweigt gewachsenen riesigen Nadel-Baum besiedelten wir mit Mooskissen und zogen uns an heißen Tagen mit unseren Eisteeflaschen dorthin zurück. Die Eltern wussten es nicht, sonst hätten sie uns wahrscheinlich davor gewarnt, dass der Baum instabil sein und möglicherweise umkippen hätte können. Oder sie hätten uns in den Kopf gesetzt, dass dort womöglich Ungeziefer leben würde, das beißt, sticht oder gar in die Ohren kriecht. Damit hätten sie mich gekriegt, denn Ohrenschleifer waren mir ein Horror! Vieles haben wir für uns behalten, damit uns der Spaß nicht verdorben werden konnte.
Jetzt, zu Corona-Zeiten denke ich in milder, verstehen wollender Denkweise, die Erwachsenen haben sich dieses Verhalten beibehalten. Gerade momentan, zu EM-Zeiten, vor dem Hintergrund der Lockerungen unter der drohenden Verschlimmerung durch die Delta-Variante, erinnert mich vieles an unser – allerdings unschuldiges Verhalten – von damals. Als Kind will man einfach egoistisch seinen Spaß. Das ist Teil des Kindseins und dar darf nicht nur, sondern soll sogar sein. Während des Heranwachsens allerdings sollte man etwas über Verantwortung für sich und andere lernen. Und über die Balance von Lebensfreude und Verantwortung urteilen können, die durchaus möglich ist.
Spiele mit Konsequenzen
Während ich die letzten Tage vor dem Fernsehschirm die tausenden Menschen, verschwitzt und schreiend dicht und ohne Masken nebeneinandersitzen, fuchteln und gestikulieren sah, wurde mir bange. Gerade geht es in Sachen Normalität ein wenig bergauf, schon sehe ich mich durch diese im Rausch taumelnden Berserker auf ein Neues bedroht. Ein Ball, dem zwanzig gestandene Männer hinterherhetzen, während zwei weitere versuchen, ihren Kasten zu schützen, mag einem allein schon absurd vorkommen. Doch weiß ich, dass die halbe Welt dieses Spiel liebt, und ich respektiere das. Die großen Spiele schauen auch wir uns an, und Adrenalin und Puls heben sich derweil. Wie jedoch der scheidende Bundestrainer in einem der Interviews dieser Tage sagte, handele es sich bei einem Turnier „nur“ um ein Spiel. Und wegen eines Spiels dürfen keine Leben aufs Spiel gesetzt werden. Das ist meine Meinung!
Unentschieden
Während Funktionäre geldgeile Gänse sind und Politiker sich vermeintlich hilflos zeigen, wirken maßgebliche Personen auf den Spielfeldern teilweise planlos. Sie lassen sich überrumpeln, hetzten kilometerweit von hüben nach drüben, reißen sich hinterher die Trikots vom Leib und weinen sich wahlweise die Augen aus. Sind das Rat und Plan des Spiels, das man Leben nennt? Ich glaube nein.
Ich habe gelernt, dass es oft die kleinen Dinge sind, die das Leben lebens- und liebenswert machen. Ein duftender Kuchen, eine dampfende Tarte, Freunde am Tisch. Lachen! Wer mir an dieser Stelle naive Lebensanschauung unterstellen möchte, der denke einmal darüber nach, wie lange glücklich er nach einem Tortreffer oder einem gewonnen Turnier-Titel war. Tritt nicht am nächsten, sagen wir am übernächsten Tag alles in den Hintergrund, wenn der Magen knurrt oder einem verführerische Düfte nach Gebratenem oder Gebackenem in die Nase steigen. Hätten wir beispielsweise gegen die Trikolore „Grün Weiß Rot“ verloren und liefen wenig später an einer duftenden Pizzeria oder einem Ristorante vorbei, wer würde dann siegen? Ich behaupte: Gaumen und Magen!
Ich fasse zusammen, dass man tolerant sein, und die Dinge nicht überhöhen soll, sondern sich auf die Lebensfreude besinnen sollte. Ich rate dazu, nicht zu verbittern und sich festzubeißen. Man entspanne sich und genieße! Ich war zeit meines Lebens für die Kulinarik. Meine Mutter kochte wundervoll und Oma und Tante buken den besten Kuchen ever. Tanti zum Beispiel ihren berühmten Rhabarberkuchen, der eigentlich eine Torte war. Geerntet haben wir den Rhabarber gemeinsam im Garten, die Vorfreude war riesig. Er wurde abgezogen, fein gewürfelt, gezuckert und durfte eine Weile ziehen. Dann kam er auf ein Sieb, der Saft diente als Grundlage für feinsten Vanillepudding. Der Kuchen war nicht wie üblich ein Blechkuchen, sondern die Rhabarber-Pudding-Mischung nahm auf einem unfassbar zarten Biskuitteig platz und wurde getoppt von Baiser und gerösteten Mandelblättchen. Eine Offenbarung!
Ich will jedoch nicht in die süße Irre führen, denn meine heutigen Tartelettes greifen die Eigenschaft des Rhabarbers als Gemüse auf und verweisen zudem auf das baldige Ende der Saison. Auch das haben sie mit der EM gemeinsam. Die kleinen Törtchen verschaffen dem Rhabarber einen deftigen Auftritt auf Basis von herzhaft-buttrigem Mürbeteig und Austernpilzen. Knusprig mit Käse und Sahne aufgebacken, mit Pilzsalat, Löwenzahn und Rucola präsentiert, erfüllt das zarte Gebäck die jahreszeitliche Komponente und den Gedanken an Vergänglichkeit voll und ganz. Ein leichtes, kleines Gericht, das auch den enttäuscht-verzwirnten Fußballfan besänftigen kann. Den euphorischen sowieso 😎!
- Zutaten für den Teig kühl und rasch verarbeiten, ruhen lassen.
- Teig ausrollen und in Förmchen füllen. Kurz vorbacken.
- Einlagen bereitstellen.
- Guss vorbereiten. Mit Einlagen vermengen, in Törtchen füllen.
- Backen, aus den Förmchen nehmen, auskühlen lassen.
- Zutaten für Beilagensalat bereitstellen.
- Dressing anrühren.
- Anrichten und gegebenenfalls Parmesan und Macadamianüsse darüber hobeln.
Die Zutaten für den Teig gekühlt rasch verarbeiten, zu einem Ziegel formen, in Folie wickeln, ca. eine Stunde durchkühlen. Tartelette-Förmchen leicht ausbuttern, mit Semmelbröseln ausstreuen, übrig gebliebene Brösel durch Klopfen kopfüber entfernen. Teig ausrollen, mittels der Förmchen Größe markieren und mit einem Überstand von ca. 2 cm (für den Rand) ausschneiden. Förmchen mit den Fingern gleichmäßig auskleiden, Überstand am Rand mit einem scharfen Messer abschneiden. Förmchen in auf 210 °C vorgeheizten Backofen auf der unteren Schiene 10 bis 15 Minuten vorbacken, bis sie am Rand ganz leicht gebräunt sind. Zum Vorbacken ein passend großes Stück Backpapier auf den Boden der Tartelettes legen und diese mit getrockneten Hülsenfrüchten beschweren. Die Hülsenfrüchte bewirken, dass der Teig sich nicht wölbt, das Papier verhindert, dass sich die Hülsenfrüchte nicht anlegen.
Für die Füllung den Rhabarber abziehen, fein würfeln und ganz kurz (ca. 30 Sekunden) in kochendem Wasser blanchieren. Auf einem Sieb abgießen und kalt abspülen. Schalotten in Butter und Zucker angehen lassen, leicht karamellisieren. Rhabarber hinzufügen. Einige Male wenden, beiseitestellen. Pilze putzen und in Segmente, dann in Würfel schneiden. In Olivenöl leicht braun anbraten, gegen Ende Knoblauch hinzufügen, Blättchen vom Zitronenthymian abrebeln und darüber streuen. Salzen, pfeffern, abkühlen lassen.
Für den Guss Crème fraîche, Eigelb und Ei, Joghurt, Zitronensaft und Zitronenabrieb verquirlen und hinzufügen, Käse sowie Nüsse unterheben, salzen und pfeffern. Mit der Einlage vermengen, Tortenförmchen befüllen und bei ca. 230 °C Ober- und Unterhitze auf der unteren Schiene im Backofen für ca. 20 Minuten überbacken. Nach 15 Minuten ständig beobachten, damit sie nicht zu braun werden. Auf einem Kuchengitter kurz abkühlen lassen, dann aus den Förmchen stürzen, auf die gewünschte Temperatur herunterkühlen. Ich mag sie am liebsten zimmerwarm. Nach Belieben mit Thymianblüten oder anderen essbaren Blüten bestreut auf einem Mayonnaise-Dip-Siegel servieren.
Für den Beilagensalat die Pilze kurz in Butter oder Olivenöl schwenken, salzen, pfeffern. Löwenzahn und Rucola verlesen. Aus restlichem Olivenöl, Zitronensaft, Salz und Pfeffer ein Dressing rühren. Zutaten für den Salat darin schwenken. Wer möchte, reibt über die lauwarmen Törtchen und den Salat großzügig Parmesan.
Für 4 Portionen
Menge | Zutat |
---|---|
|
Der Mürbeteig |
200 g |
Dinkelmehl (fein gemahlen) |
100 g (plus etwas) |
Butter (kalt, grob gerieben) |
1 |
Eigelb |
1 Prise |
Zucker |
2 gehäufte EL |
Parmesan (fein gerieben) |
½ TL |
Backpulver |
Einige Schluck |
Wasser |
1 bis 2 EL |
Semmelbrösel |
|
Rauchpaprika, etwas Salz |
Außerdem: |
Backpapier und getrocknete Hülsenfrüchte zum Blindbacken |
|
Die Füllung |
4 Stangen |
Rhabarber (möglichst roten) |
1 TL |
Zucker |
8 bis 10 mittelgroße |
Austernpilze |
2 EL |
Olivenöl |
2 |
Schalotten |
1 Zehe |
junger Knoblauch |
2 EL |
geröstete, gehackte Nüsse (z. B. Mandeln) |
3 bis 4 Stiele |
Zitronenthymian |
2 EL |
Bergkäse (gerieben) |
2 EL |
Parmesan (gerieben) |
2 EL |
Crème fraîche |
1 |
Ei |
1 |
Eigelb |
2 El |
vollfetter Joghurt |
1 |
Bio-Zitrone |
|
Chilisalz, Pfeffer |
|
Mayonnaise-Dip |
4 EL |
Mayonnaise (beste Qualität) |
2 EL |
Sauerrahm |
2 EL |
frische Kräuter (z. B. Schnittlauch und Estragon) |
½ - 1 TL |
Chilisalz |
Etwas |
Zitronenabrieb |
|
Der Beilagensalat |
1 Hand voll |
Austernpilze (gerne recht kleine) |
2 EL |
Olivenöl |
1 Hand voll |
geputzter gelber Löwenzahn |
½ Bund |
junger Rucola (Stiele entfernt) |
4 EL |
Dressing (Zitrone, Öl, Salz, Pfeffer) |
Evtl. |
einige geröstete Pinienkerne |
Evtl. |
einige Blüten zur Dekoration |