Mein Jahresrückblick, 2020

Ein abgelegener Bauernhof

Freunde hatten uns zum Aufenthalt im schweizerischen Nirgendwo überredet: „Idylle pur“. So am Ende der Welt hatte ich mir den Bauernhof im Bergdörfchen „St. Antönien“ nicht vorgestellt. Die Großmutter begrüßte uns mit schrillem „Challooh! Gruetziih!“, und das tat sie ab da mehrfach am Tag, wann immer wir die Diele passierten. Wir erlebten reinweiße Wanderungen in unberührtem Neuschnee und kehrten in entlegene Hütten mit deftig-ehrlichen Speisen ein. Oftmals waren wir in diesen Herbergen beinahe die einzigen Gäste. Von Rummel, wie man ihn von alpinen Skihütten kennt, konnte hier nicht die Rede sein. Ein typisches Gericht in Graubünden hatte es uns angetan: „Capuns“. Das sind kleine Mangoldröllchen, gefüllt mit Spätzleteig und Bündnerfleisch oder luftgetrockneter Hartwurst „Salsiz“. Überbacken mit Bergkäse, gebettet in Rahmsauce sind sie reichhaltig, ließen uns jedoch nach einer anstrengenden Wanderung schwelgen!

Des Abends machten wir uns auf den Weg in eines der drei Dorfgasthäuser. Nachdem wir uns mit „Chäsröschti“ und „Chrüter“ gestärkt hatten, stellten wir uns mit vollem Magen und müden Beinen dem mühsamen Anstieg zum Gehöft weit oben. Wie betäubt fielen wir in sehr weiche Betten mit dicken, schweren Zudecken. Bisweilen bekam ich Albträume ob der Federlast über mir. Der Himmel war tagelang blau, der Schnee jeden Morgen frisch, keinen Ton von Zivilisation hörte man bei den Wanderungen. Im Grunde war alles perfekt. Aber was soll ich sagen: Die Dosis der Abgeschiedenheit machte uns in den letzten Tagen zu schaffen. Die perfekte Idylle brachte uns regelrecht auf Zivilisationsentzug.

Zum Beitrag: Capuns auf Traubenspitzkraut.

Jahresrückblick 2020 - Februar

Die tobende Sabine

„Sabine“ suchte uns heim. Wir hatten sie nicht eingeladen, konnten jedoch nichts gegen ihren aufwühlenden Besuch tun. In diesem Jahr tragen die Tiefs weibliche, die Hochs männliche Namen. Im Zuge der Gleichberechtigung wechselt die Namensvergabe seit geraumer Zeit jährlich. Das heißt, im nächsten Jahr, sind die Männer schuld an Sturm und Hagel. Die Namenspatenschaft lässt man sich etwas kosten. Für 199 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer kann man sich den Namen eines Sturmtiefs kaufen. Ein Hoch kostet 299 Euro. Orkantief Sabine hat an diesem Februarwochenende einen fulminanten Auftritt hingelegt und uns kräftig die Kreide verhagelt. Insbesondere mir, der Liebste sieht das alles deutlich gelassener. In aller Ruhe machte er rund ums Haus alles niet- und nagelfest.

Ich würde mich ablenken und versuchen, die rabiate Dame einfach auszublenden. Spüren konnte ich die brodelnde Front schon, mir war, als stünde ich unter Strom. Ich beschloss zu kochen und inspizierte den Vorrat. Chicorée, Orangen, Pomelo und Äpfel lagen für den morgendlichen Smoothie bereit. Ich konfiszierte sie schon einmal für einen frischen, fruchtigen Salat. Im Froster lagerten „Skrei“, der festfleischige norwegische Winterkabeljau und Tiger-Prawns. Damit ließe sich etwas anfangen. Vorher noch eine kleine Meditation, ein inbrünstiges „Om“, der Wunsch ans Universum, dass Sabine uns nur mit ihren kräftemäßig abgeschwächten Rändern streifen würde.

Ich kochte Köstliches, wir speisten, genehmigten uns ein Bierchen und was ich nie erwartet hätte, schlief ich trotz des tosenden Sturms tief und fest. Ja, ich hatte das Rütteln irgendwie unterbewusst registriert, gab ihm jedoch keinen Raum. Das ist wohl eine Möglichkeit, Krisen zu meistern und hinterher auf das Leben anzustoßen!

Zum Beitrag: Winterkabeljau und Tigergarnelen.

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